Ishak Alaton – Der überflüssige Mann

‚Was soll ich mit einem Porsche oder Ferrari. In Istanbul beträgt die durchschnittliche Geschwindigkeit von Autos 17,5 km/h. Mehr ist nicht drin‘. – Ein Nachruf auf Ishak Alaton.


Dieses Zitat kann einen, diesen ganz besonderen Menschen kaum besser beschreiben, seine innere Einstellung, seine Lebensphilosophie besser verdeutlichen. Seine Aufrichtigkeit, Bodenständigkeit und seinen Realitätssinn könnte keine Biographie besser erklären. Eigentlich müsste hier unser Nachruf schon zu Ende gehen. Nicht so bei Alaton.

Ishak Alaton war nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer, er war Aufklärer, ein Mahner, einer der zum Denken anregte. Immer wenn man gedacht hat, ‚ach so ein reicher Schnösel wieder‘, kam er mit seinen Einwänden und seinen revolutionären Lösungsansätzen. Ach ja, eine Biographie über ihn wurde von Mehmet Gündem auch geschrieben mit dem Titel ‚Der notwendige Mann‘. Alaton ergänzte das später mit seinem eigenen Buch ‚Der überflüssige Mann‘. 

Dazu später mehr. Wir gehen zunächst zu den Wurzeln.

Alatons Wurzeln

Ishak Alaton wurde 1927 in Istanbul geboren. Er besuchte das renommierte französische St. Michel Gymnasium im Bezirk Şişli. Ein damals von französischen geistlichen geführtes Gymnasium. Alaton stammte aus einfachen Verhältnissen und seine jungen Jahre in der jungen türkischen Republik waren eher mit Entbehrungen verbunden. Er verließ das Gymnasium ohne Abschluss, da sein Vater Hayim Alaton die in diesen ‚grauen Zeiten‘, wie Alaton sie nannte, übliche ‚Existenzsteuer‘ nicht entrichten konnte. Die Familie war eine von 5000 Nichtmuslimen die von Şişli zum Arbeitslager von Aşkale in Anatolien gebracht wurden. Existenzsteuer war ursprünglich für alle Bürger vorgesehen, um die Wirtschaft anzukurbeln, jedoch wurde sie in geheimen Sitzungen zu einer Steuer instrumentalisiert, die nur von Nicht-Muslimen zu entrichten war.

Damals, in den 40er Jahren machten in Istanbul antisemitische Gerüchte die Runde und in der Presse erschienen Berichte über ‚Schwarzmarkt Juden, Zinseintreiber, Glücksspieler Juden‘, so das diese künstlich erzeugte antisemitische Stimmung und Ungerechtigkeit für die Verarmung mancher Nicht-Muslime sorgte. Dies betraf vor allem die Juden.

Antisemitismus

Die Existenzsteuer machte Hayim Alaton zu einem gebrochenen Mann und trotzdem liebte er sein Land, ohne Bedenken. Um die (Existenz-) Steuerschulden zu bezahlen, musste er in einem Arbeitslager im Ost-Anatolischen Aşkale in einem Steinbruch arbeiten. Dazu musste die Familie all ihr Hab und Gut für die Steuer hergeben. Die Arbeit im Steinbruch im anatolischen Aşkale kam hinzu. Sein Bruder wird später das Land resigniert mit den Worten ‚verflucht sei dieses Land‘ verlassen und die Kontakte zu ihm nur spärlich aufrechthalten. Alaton wird von ihm als typischer Repräsentant des Landes angesehen. 

Später wieder in Istanbul arbeitete Alaton in seinen jungen Jahren bei dem Volvo-Händler Mehmet Kavala als ‚Bote für alles‘. Hier nutzte er den Kontakt zum schwedischen Konsulat, um eine Wendung in seinem jungen Leben herbeizuführen. Der Konsul setzte sich für ihn ein und er fängt bei einer Lokomotivfabrik in Schweden als angelernter Schweisser an. Später macht er in der Abendschule eine Ausbildung zum Technischen Zeichner und arbeitet im selben Betrieb als Technischer Zeichner. 

Leben in Schweden

Schweden hatte ihn sichtlich beeindruckt und er stufte dieses Land wegen seiner Sozialleistungen und wegen seiner Gleichberechtigung als ‚perfekt‘ ein. Er lernte damals die Jungsozialisten der Schweden kennen und eine neue Welt öffnete sich für ihn. Schulungen bei den schwedischen Jusos bezeichnet er später ‘als ein wertvolles Gepäck für das ganze Leben’.

In einem Interview mit der türkischen Tageszeitung ‚Star‘ im Jahre 2000 sagte Alaton

es gehörte ganz schön Mut dazu, sich in den 50er Jahren zur Sozialdemokratie zu bekennen. Ich habe mich damals schon in der Türkei zur Sozialdemokratie bekannt, aber ich kann nicht behaupten, das mich jemand wirklich auch verstand‘.

Mit 28 Jahren kehrte Alaton, der 1958 die Schwedin Margarete von Proschek heiratete, in die Türkei zurück und machte sich mit einem der Opfer der Existenzsteuer, Üzeyir Garih, selbständig. Beide legten damit den Grundstein ihres heutigen Unternehmensimperiums, in einem kleinen Büro, in der Bankenstrasse in Karaköy.

Die jüdische Gemeinde in der Türkei, einstmals mit dem stolzen Mitgliederzahl von 100.000, heute bescheiden etwa mit 22.000, die vornehmlich in Istanbul, daneben mit einer kleinen Gruppe in Izmir leben, gehört den sephardischen Juden an. Die Sepharden sind eine von Iberischen Halbinsel geprägte Gruppe von Juden, die 1492 von der Inquisition verfolgt, eine neue Heimat in Nord-Afrika, im Osmanischen Reich und teilweise in Nord-Europa fanden. Nach den Pogromen von Sevilla 1391 veranlasste der Sultan, dass Sepharden in das Osmanische Reich gebracht wurden. Er schickte seine Schiffe nach Spanien und ließ die Sepharden in das Reich kommen. Die meisten Sepharden, wie auch die Familie Alaton, siedelten sich in Saloniki an, im heutigen Griechenland, das damals ‚kleines Jerusalem‘ genannt wurde. Währed des 2. Weltkrieges flohen die Sepharden wieder, diesmal nach Konstantinopel. Die Wehrmacht saß ihnen im Nacken.

Alaton und sein Partner gründeten eine Kollektivgesellschaft und montierten in den ersten Jahren Heizungen in Istanbul. Damit war der Startschuss für eines der bekanntesten und türkischen Technologieunternehmen abgefeuert worden. 

Heute hat das Unternehmen mehrere Tausend Mitarbeiter auf drei Kontinenten und ist neben Klimatechnik, Energie, Inftrastruktur und Bau auch im Tourismus tätig. Alaton ist Gründer von mehreren Sozialen Stiftungen und war in den Jahren 1998-2012 Honorarkonsul von Südafrika in Istanbul. Er ist Träger des ‚Nordstern erster Klasse‘ aus Schweden und des ‚Königlich spanischen Zivilordens‘.

Natürlich Türkei

Alaton wurde einmal gefragt, wo er seine Heimat sah, in Israel oder in der Türkei. Er sagte wie aus der Pistole geschossen ‚Natürlich Türkei‘. Die Liebe zu seiner Heimat erbte er von seinem Vater. Die Liebe zu seiner Heimat bedeutet aber für ihn, den rastlosen Weltverbesserer, ständig das Vorhandene in Frage zu stellen und Lösungsansätze anbieten. Zu den größten Niederlagen in seinem Leben wird er später beichten, gehört, dass er es nicht geschafft hat, die Sozialdemokratie nach Schwedischer Prägung in die Türkei zu bringen. Sein Partner Dr. Üzeyir Garih wird ihn immer wieder daran erinnern, sich nicht in die Politik einzumischen, sondern sich auf die eigene Arbeit zu konzentrieren. Alaton weiß, dass Garih Recht hat. Jedoch kann er sich nicht bremsen. Er setzt sich jahrzehntelang für die Kumpels in türkischen Bergwerken am Schwarzmeer ein.

Vor etwa 30 Jahren reist Alaton in die Gegend und nimmt dort an einer Versammlung der Gewerkschaften mit den Kumpels teil. Als er das Mikrofon nimmt, wird er von tausenden Menschen ausgebuht. Er ist Repräsentant des Großkapitals. Plötzlich schreit er voll ins Mikrofon ‚RUHEEEEEEEEEEEEEEE‘. Alle sind plötzlich still.

Ihr seid dumm. Wie könnt ihr für so wenig Geld unter die Tage gehen und dort sterben wollen?  Seid ihr verrückt?

Die Türkei hat die höchsten Unfallzahlen unter Tage. Die türkische Bergbau hängt am Tropf des Staates und wird stark subventioniert. Es ist nun mal keine besonders ergiebige Kohle wie die in Deutschland. Alaton schlägt vor, die Bergwerke dicht zu machen und die Menschen umzuschulen.

Lasst uns hier am Schwarzen Meer Fischfarmen gründen und wir züchten Fische. Wenn ihr so gar nichts tut und zu Hause sitzt und euer Gehalt wird euch jeden Monat überwiesen, sogar dann ist es billiger als jetzt, bei allen Gefahren herunterzusteigen und täglich 10 Stunden zu arbeiten.

Später wird er selbst Fischfarmen am Schwarzen Meer errichten. Er lässt Experten aus Norwegen kommen und möchte Lachse züchten. Obwohl die Norweger grünes Licht geben, das Schwarzmeer ist zu warm für Lachszucht. Er wird 6-7 Mio. Dollar in den Sand setzen. Seine zweite Niederlage, nachdem er 60 Jahre erfolglos die Türkei zu einem Sozialdemokratischen Land umzufunktionieren versuchte.

1992 möchte Mehmet Gündem seine Memoiren schreiben. Alaton willigt ein und sie treffen sich regelmässig, 2 Jahre lang, in seinem Büro. Zum Schluss nennt Gündem das Buch ‚Der notwendige Mann‘.

Der überflüssige Mann

Später gibt er die Leitung des Firmenkonglomerats in die Hände seines 2001 verstorbenen Partners und wird Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates. Er bereitet seinen Rückzug aus dem Geschäftsleben Schritt für Schritt vor und möchte sich ‚überflüssig machen‘. Das bedeutet, alles geht seinen Lauf und der Nachwuchs hat erfolgreich das Steuerrad übernommen. Er schreibt selbst ein Buch und nennt das Buch ‚Der überflüssige Mann‘.

Er ist ein immer wieder willkommener Geschrächspartner der Medien und wird öfters in die Universitäten eingeladen um Vorträge zu halten. Natürlich wird er vor allem nach seiner Meinung zum Geld gefragt.

Das Geld hat zwei Persöhnlichkeiten. Einerseits ist es ein Mittel um seine Bedürfnisse zu stillen, wie etwa um Lebensmittel, Kleidung, Möbel sogar Gesundheit zu kaufen.

Andererseit ist ein eine gute Altersvorsorge. Aber es gibt Dinge, die wichtiger sind als Geld. Lust, Kultur, Glück. Ein Theater zu besuchen kostet genauso viel wie ein Hamburger. Liebe ist sowieso kostenlos. Einen wunderschönen Sonnenaufgang, das Rauschen der Wellen am Meer, ein Schachspiel, wenn Sie daran einen Lustgewinn verspüren, das ist doch wundervoll und alles ohne Geld. Seit meinem 65. Lebensjahr versuche ich, überflüssig zu sein. Die Zeit rinnt einerseits, andererseits warten in meinem Bibliothek unzählige Bücher auf mich, die ich noch nie gelesen habe.

Gut, dass ich nach einem gewissen Punkt nicht mehr danach gestrebt habe, noch mehr Geld zu verdienen. Gut, dass ich immer ein neugieriger Mensch war. Gut, dass ich zum richtigen Zeitpunkt die Firma Profis überlassen habe. Gut, dass mir nur eine Persöhnlichkeit nicht ausgereicht hat. Gut, dass ich mich mit Fragen des Allgemeinwohls beschäftigt habe. Gut, dass ich meinem Partner Üzeyir Garih kennengelernt habe‘.

Gut, dass wir dich kennenlernen durften. Gut, dass du nicht das Land verlassen hast und immer daran geglaubt hast. Überflüssiger Mann Ishak Alaton.

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Ekrem Kus

Ekrem Kuş ist 1961 in Ankara geboren und aufgewachsen. Seit 1970 lebte er in Konstanz. Er absolvierte eine Ausbildung zum Berufspiloten und eine weitere zum Industriekaufmann. 16 Jahre war er in Deutschland als Unternehmensberater tätig. Seit 2009 lebte er wieder in der Türkei und war dort als Unternehmer tätig. Er vertritt deutsche und schweizer Unternehmen in der Türkei. Kuş ist geschieden und wohnt nun wieder in Deutschland.

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