Heiß & Scharf & Sexy oder Die Party in den Zeiten der Cholera

In Seiner neuen, schwitzenden „Hörmal“-Kolumne widmet sich Ulf Kubanke Ausgerlassenheit, Party und dem Sexsymbol in der Musik. Die Zeiten bieten wenig Sinnlichkeit. diese Kolumne dafür umso mehr.


Weltweit Apokalyptische Krisen, überforderte Politiker, Warlords, Wutbürger – im Herzen Eiszeit? Nicht mit mir, Freunde! Und schon gar nicht in dieser Kolumne! Lasst uns das zivilisatorische Gefrierfach kernschmelzen. Lasst uns mit Glut, Schweiß und Zähnen die Party des Lebens beim Schopfe packen, selbst wenn man dafür auf ochsenblutroten Trümmern tanzern muss. Lasst uns den inneren Akku zum Bersten laden; die sexy Energie des totalen Burners feiern und der Krise in die grelle Fratze spucken. ….wenn auch nur für ein paar Augenblicke.

Wollt ihr, liebe Leser, diesen erotischen Musikpfad mit mir beschreiten? Es soll euer Schaden nicht sein. Das verspreche ich. Im Gegenteil: Ob Funk-Chic oder Funk-Muffel; am Ende der Kolumne fühlt ihr euch viel besser. Ich dann auch. Es geht los!

Nach solch vollmundigen Ankündigungen muss der Opener freilch ein echter Knaller sein. Ein Kracher jener Sorte, bei dem man gar nicht mehr fragt, was im Detail abgeht, weil alle Leidenschaft einfach passiert. Denkt man bei so einem Killer of Funk zuerst an …..räusper….ein paar michlweiße Typen aus Italien? Klingt krude, aber „Ja!“ Der Vorhang hebt sich für Calibro 35 und ihr todsicheres Rezept.

Calibro 35 – „Eurocrime“

Giallo, Baby, Giallo! „Eurocrime“ ist ein Hexenkessel, eine blitzende Mündung im Dunkel, ein sexy Inferno. Ist das Gangster-Funk mit Mafia-Rock? Zumindest klingt es als haben Dr Mabuse und Don Corleone eine Band gegründet, bei der sich Knarren und Gitarren im Koffer die Hände schütteln. Das Ergebnis ist ein weltweit einzigartiger „Sound of the Crime“, bei dem nicht nur Ma Baker und Bonnie Parker mit dem Hintern wackeln. Sogar gestandene Hiphop-Legenden wie Dr Dre (auf „Compton: A Soundtrack by Dr. Dre“) oder Jay Z (auf „Picasso Baby“) bedienten sich per Sample bei dieser mailänder Energie. Die Platten des Quintetts sind allesamt höchst empfehlenswert. Zum Einstieg empfehle ich das flirrende „Ritornano Quelli Di…“, von dem dieser Track stammt. Tanzt die Cosa Nostra, hier kommt „Eurocrime“:

 

Nicht leicht, diesen Pegel zu halten?

Marcus Miller – “Blast”

Mag sein, aber wie sagte bereits die große Philosphin Angela M.: „Wir schaffen das!“ Auch der nächste Kandidat sollte niemandem die Mundwinkel nach unten merkeln lassen. Marcus Miller prägte u.A. den Sound des späten Miles Davis (u.A. „Man With The Horn“, „Tutu“, „Amandla“) und arbeitete ausgiebig mit zahlreichen weiteren Legenden wie Herbie Hancock, Dizzy Gillespie oder Luther Vandross.

„Blast“ stammt von seinem hervorragenden 2007er Album „Free“. Das Stück ist in Punkto Groove und Grundhaltung ein typisches Miller-Juwel. Falls manch ein Miles-Checker hier einen Hauch „Tutu meets Amandla“ heraushört, so ist dies beileibe keine Täuschung. Es klingt wie ein heftig tanzender Sonnenstrahl nach grauem Gewitter. Dabei hält es eine feine Balance zwischen hitverdächtiger Eingängigkeit und jazzy Komplexität. Eine Königsdisziplin, die so wenige beherrschen; Miller jedoch ebenso mühelos wie lässig.

 

Doch so schön es mit Calibro und Miller auch sein mag. Das essentielle Salz in der Suppe steht noch aus. Hier kommt eine echte Göttin der Popkultur, Musikhistorie und Wegbereiterin der Kunst: Betty Davis.

Betty Davis

Kaum zu glauben – dennoch wahr: Ohne die gebürtige Betty Mabry, die auch als Fotomodel manche frühen optischen Glanzpunkt setzte, wäre die Geschichte der heutigen Populärmusik im Allgemeinen sowie die Geschichte von Fusion oder Funk im Besonderen eine ärmere. Auch Miles Davis “Bitches Brew”/”On The Corner” wären ohne den unterschätzen Einfluss dieser kompromisslosen Schönheit womöglich nie entstanden. Nebenbei verkörpert sie das Rolemodel der Frau als selbstbewusste Musikerin/Macherin, die sich simultan als Sexsymbol (nicht als Sexobjekt!) inszeniert.

Beschäftig man sich ein wenig mit ihrerer Biografie, kommt eine erstaunliche Vielfalt zutage. Das Leben einer Frau, die verstanden hat und Lust daran empfand, absolute Körperlichkeit als erotisches Lockmittel einzusetzen, während sie gleichzeitig mit musikalisch überbordendem Talent plus echter Substanz glänzt.

Die brillante Taktik: einerseits die Muse geben. Andererseits darauf achten, nie und nimmer auf das Klischee der “sexy Tussi” reduziert zu sein. Für Betty Davis kein Problem: Sie hat einfach alle wahnsinnig gemacht. Mit Hendrix samt dessen Experience oder Sly Stone war sie eng befreundet. Den unbekannten Commodores verhalf sie zum ersten Plattendeal, und Gatte Miles profitierte von der Heranführung an Jimi, Sly und Rock. Sie alle waren verrückt nach ihr; Körper wie Geist. Eine Zauberin!

 

Die totale Alphafrau?

Ja!

Bereits vor dem ersten Date mit Miles Davis stellte sie unmissverständlich klar: “Ich mag vieles sein, aber sicher nicht “(d)ein kleines Mädchen””. Das hat er wohl verstanden. Sie ist nicht nur die “conditio sine qua non” – die nicht hinwegdenkbare Ursache – für Fusion und “Bitches Brew”. Oh nein, es passiert sogar eine Aufnahmesession echter Betty Mabry/Davis-Songs; produziert von Miles/Teo Macero und eingespielt mit u.A. Teilen der Jimi Hendrix Experiens aus dem Jahr 1968. Das ist im Grunde die wahre Geburtsstunde der Fusion. Eine Art “Bitches Brew” Part I, der totale Prototyp.

Ihre regulären ersten drei Alben – “Betty Davis”/”They Say I’m Different”/”Nasty Gal”, erschienen zwischen 1973 und 1975 – sind nicht nur musikhistorisch essentiell. Die Songs gerieten schlichtweg überwältigend. Cracks wie Pointer Sisters oder Neil Schon (Journey, Bad English) rissen sich um die Zusammenarbeit. Die ebenso derbe wie verführende Mischung aus Kratzbürsten-Funk, Hardrock und groovy Soul lässt sogar Giganten wie Sly & The Family Stone oder die grandiosen Parliament/Funkadelic recht blass bzw unausgegoren aussehen. Bis heute klingen diese über 40 Jahre alten Scheiben modern, individuell und im Genre unerreicht.

 

Sie ist die Mutter!

Ebenso ist Davis so ziemlich die erste ihrer Art. Eine Frau die nicht nur schreibt, mit einspielt und singt. Sie produziert den Löwinnenanteil des Materials auch gleich selbst und behält die “full artistic control”. Inhaltlich und als Pose tauscht sie einfach die Prämissen. Sie weiß um die Wirkung ihres Aussehens und wirft den Körper bereitwillig in die optische Waagschale. Bahnbrechendes sexy Coverartwork oder Gigs im Neglige sind nur ein Bruchteil dieses Konzepts. Auch die Lyrics zeigen eine sexuell offensive Frau, die auf männliche Domänen pfeift und selbst den Anmacher gibt. Sie holt sich als echter Rockstar, was sie will und sie will verdammt nochmal alles! Was für ein Vorbild!

Jetzt mögt ihr fragen: Warum kennt man sie dann in der breiten Öffentlichkeit kaum, warum blieb ihr Werk Geheimtipp für Kenner und Genreliebhaber?

Nun, manchmal reicht es einfach nicht, die erste und beste zu sein, nicht wahr? Manchmal genügt es nicht, sich die viel umworbene Kehrseite auf zu reißen. Manchmal benimmt sich das Leben eben einfach wie ein verdammter Hurensohn.

Im Fall Betty Davis bewahrheitet sich die alte Bowieweisheit, wonach es im Showbiz ein Vorteil ist, immer der zweite zu sein, der etwas macht, nicht der erste. Davis war ihrer Zeit anscheinend zu weit voraus. Die Türen öffnete sie zwar. Jedoch nur für Nachfolger wie Grace Jone, Prince, Madonna, Björk etc. Ihr selbst jedoch blieb die Pforte verschlossen.

Die Gesellschaft besaß längst nicht die Reife, eine mit so immensem Selbstwertgefühl ausgestatte Macherin zu ertragen. Zu schätzen wusste es erst recht kaum jemand. Davis steckte ein überkommenes Rollen- bzw. Weltbild in Brand als viele noch hinter dem Mond lebten. Ganz besonders schlimm waren torpedierende Anfeindungen von Rassisten, Puritanern und christlich angepinselten Klerikalfaschisten, denen “eine Schwarze, die in Lingerie auftritt” und ihr Ding so selbstverständlich macht wie ein weißes Rockidol, mehr als nur suspekt. Davis war für sie eine Lästerung, eine “ihren Platz verlassende Negerin”, eine echte Hure Babylon.

Zur Krönung des Schlamassels blieb ihre obig erwähnte Fusion-Platte unveröffentlicht – zu unkommerziell für das Label. So blieb ausgerechnet diejenige, der die Musikwelt so viel Dankbarkeit schuldet, komplett auf der Strecke. Voller Grimm und Bitternis zog Davis sich vor Dekaden aus der Öffentlichkeit zurück.

Trotzdem ist die Story keine traurige Geschichte. Denn noch lebt sie. Und in den letzten Jahren konnte die mittlerweile über 70 Jährige beobachten, wie ihre vergriffenen Platten wiederveröffentlicht wurden, die mediale Anerkennung langsam sichtbar wurde. Sogar die verschollene 1968er Proto-Fusion-Scheibe ist vor kurzem als “The Columbia years 1968-1969” erstmals erschienen.

Manchmal muss man wohl einfach durchhalten, bis die Zeit reif ist.

Alles schön und gut. Doch gibt es jenseits dieser großen Pionierin auch zeitgenössische Musikerinnen, die so eine Fackel weiter tragen?

Mein Liebling unter den neuen Blüten: Ester Rada, moderne Königin des R & B.

Ester Rada

Da höre ich schon beunruhigtes Rascheln und ahne manch nach oben gezogene Braue. Doch die verständliche Skepsis des Publikums ist zum Glück unbegründet. Schon klar, R & B steht gegenwärtig leider oft für unerträgliche Hohltöner zwischen „bitchy“ und „steril“; zwischen Fashions-Shop-Gedudel und Schulhofmobberin.

Wisst ihr was: Vergesst all diese Nebelkrähen! Ester Rada ist eine Ohrenweide!

 

Sie entstammt einer jüdisch-äthiopischen Familie. Ihre Eltern flohen vor ihrer Geburt als Verfolgte Juden nach Israel. Ziemlich miese Ausgangsposition, nicht wahr? Doch das “Refugee Girl” wurde von der israelischen Gesellschaft optimal integriert. Freuen wir uns für die Kunst und Ester gleichermaßen, dass es die Radas dorthin verschlug und nicht gen Deutschland. Es war sicherlich ein Vorteil für das kleine Flüchtlingsmädchen, dort nicht von Scharen tollwütiger Ackerfurchen-Orks aus dem zivilisatorischen Bierfahnen-Hinterwald empfangen zu werden.

Dort, in Nahost, ist sie der breiten Öffentlichkeit eher als Schauspielerin ein Begriff. Ihr musikalisches Talent indes ist weit interessanter. Soul, Blues, R & B, Afro-Groove plus eine Prise Ethno-Jazz, alles verschmilzt unter ihrer Stimme zum hochgradig individuellen wie erotischen Dynamit. Sie gibt dem Genre endlich Leidenschaft, Ausgelassenheit, Zorn, Lebensfreude, ein Quentchen Dreck und allen Sex zurück, den dieser Stil so dringend benötigt.

Diese ganz eigene Mischung Radas aus Wucht und Sensitivität kommt nicht von ungefähr. Der große Meister des Äthiopischen Jazz, Mulatu Astatke, ist ein Haupteinfluss. Es scheint mit Rada ein wenig, als werde die Farbenpracht des längst untergegangenen „Swingin‘ Addis Abeba“ in kraftvoller, professioneller und moderner Form wiedergeboren. Ein wenig ist es auch so.

Hier kommt die totale Bombe des R&B. Lasst euch verführen von Stimme und Arrangement. Doch Obacht, es wird monströs energetisch:

Noch einen? Gern! Meine persönlichen Favoriten sind das knallharte „Lose It“ und das kernige „Herd“. Zumindest von letzterem findet sich ein autorisierter Live-Mitschnitt. Ansonsten finden sich alle Nummern (bis auf das taufrische “Cry For Me” obig) auf ihrem grandiosen Album „Ester Rada“ aus dem Jahr 2014.

Nach alter Kolumnetradition fehlt natürlich noch der „Perfect Nightsong“ zum Thema. Auch hier darf man bedenkenlos bei La Rada zugreifen.

 
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Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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