Die rosaroten Clintons

Wenn Daniel Ortega als Präsident von Nicaragua wiedergewählt wird, soll Ehefrau Rosario Murillo Vizepräsidentin werden. Schon jetzt ist die Schriftstellerin überaus mächtig und nimmt Einfluss auf Politik und Darstellung von Regierung und sandinistischer Partei. Dazu gehören christlicher Fundamentalismus und rosarote Gebäude.


Das Zeitalter der Erbmonarchien ist in den meisten Ländern abgelaufen. Dennoch scheinen politische Dynastien auch in Demokratien und sogar in kommunistischen Volksrepubliken nicht aus der Mode gekommen zu sein. Vor allem in exotischen Ländern bestimmen Familienclans immer noch die Geschicke. Etwa in Indien, Pakistan oder Sri Lanka. Ganz zu schweigen von den Kims in Nordkorea, die als Vater, Sohn und Enkel eine Art sozialistische Dreifaltigkeit bilden. Der 1994 verstorbene Staatsgründer Kim Il-sung fungiert bis heute als Staatsoberhaupt, sein beleibter Enkelsohn Kim Jong-un ist zumindest formal lediglich Chef von Partei und Armee. Was kaum jemand weiß: Auch im demokratischen Süden Koreas setzt man auf dynastische Erfahrung. Staatspräsidentin Park Geun-hye ist eine Tochter des früheren Militärmachthabers Park Chung-hee. Und im Nachbarland Japan werden Abgeordnetenmandate vererbt, wie hierzulande Häuser oder Grundstücke.

Überall auf der Welt Polit-Dynastien

In den 90er Jahren erreichte der dynastische Trend die westliche Welt. So wurde George W. Bush als Nachnachfolger seines Vaters US-Präsident. Später löste in Argentinien Cristina Kirchner Ehemann Nestor als Staatschef ab. Sohn Maximo, den mir ein Taxifahrer in Buenos Aires einmal als einen „verzogenen Nichtsnutz“ beschrieb, wurde zum Regierungsberater ernannt; außerdem steht er der Parteijugend der Peronisten vor. In Europa gab es Giorgos Papandreou, der seinem Vater Andreas in das Amt des griechischen Ministerpräsidenten folgte sowie die Kaczinsky-Zwillinge, die Polen zeitweise gemeinsam als Staats- und Regierungschef regierten.

In Deutschland waren Politdynastien bislang auf etwas niedrigerer Ebene aktiv. Beispielsweise erbte Michelle Müntefering das Bundestagsmandat ihres Gatten Franz. Und der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch trat in die Fußstapfen seines Vaters Karl-Heinz, eines ehemaligem Landesministers.

Erstmals Ehegattin als Vize

Aktuell macht sich Hillary Clinton daran, ihrem Gatten Bill nachzueifern. Falls Hillary tatsächlich US-Präsidentin wird, soll sich der gute Bill allerdings auf die Rolle des  „First Husband“ beschränken. Vizepräsident soll Tim Kaine, ein Senator aus Virginia, werden. Mit einer derart „bescheidenden Rollenverteilung“ wollen sich Nicaraguas langjähriger Präsident Daniel Ortega und seine Frau Rosario Murillo nicht mehr abgeben. Der einstige Revolutionsführer und die ihm angetraute Dichterin haben das ärmste Land Mittelamerikas mittlerweile in eine Art Familienbetrieb verwandelt und mit einer kruden Ideologie aus Pseudo-Marxismus und katholischem Fundamentalismus überzogen. Ein Sohn der beiden ist ebenfalls Minister, mehrere Kinder wurden zu Beratern der Regierung ernannt. Ein anderer Teil des Ortega`schen Nachwuchses leitet inzwischen den staatlichen Jubelsender „Viva Nicaragua“. Der Begriff „Familienunternehmen“ bekommt da eine ganz neue Bedeutung.

Nach den Wahlen im November wollen die „Clintons von Managua“ ihrem „Family Business“ einen offiziellen Anstrich geben. Ortega soll als Staatschef wiedergewählt werden und Murillo dann als seine offizielle Vertreterin fungieren.

Die Melisandre von Managua

Bereits jetzt gilt Murillo als die starke Frau in Nicaragua, die ihren Mann steuert und beeinflusst. Formal ist sie derzeit Regierungssprecherin im Ministerrang sowie Sonderaußenministerin. Darüber hinaus wird sie von vielen ihrer Landsleute als Chefideololgin, Strippenzieherin und maßgebliche Einflüstererin in der regierenden Sandinistischen Bewegung gesehen. Böse Zungen vergleichen Murillos Einfluss auf ihren Göttergatten mit der Macht, die die dunkle Zauberpriesterin Melisandre in der Serie „Game of Thrones“ auf die Thronprätendenten Stanis Baratheon und Jon Snow ausübt. Und ähnlich wie Melisandre ist der esoterisch angehauchten Murillo in Nicaragua eine Wiederauferstehung gelungen. Musste die Zauberin ihren Schützling Snow noch mittels Hexenkraft aus dem Reich der Toten zurückrufen, so reichten bei der Reanimation des politisch bereits totgesagten Ortega simples Politmarketing und ein paar machiavellistische Ränke aus.

1979 putsche der linksgerichtete Revolutionär Nicaraguas langjährigen Diktator Anastacio Somoza aus dem Amt und stand danach bis 1990 an der Spitze des Landes, zunächst als Chef einer Militärjunta, danach als ziviler Präsident. Dann verlor Ortega freie Wahlen gegen ein Oppositionsbündnis unter Violetta Barrios de Chamorro, einer Verlegerin, mit der er einst gegen die Somoza-Diktatur gekämpft hatte. Diese Niederlage versetzte dem roten Caudillo und seinen Sandinisten einen echten Knock-out. Insgesamt 16 Jahre musste die Linkspartei in der Opposition verharren. Erst 2006 ergab sich die Chance auf Rückkehr in den Präsidentenpalast, die der Comandante mit Unterstützung seiner Frau eiskalt nutzte.

Marxismus ist eine leere Hülle

Zwar war der Marxismus der Sandinisten damals zur leeren Hülle verkommen. Die Ortegas erkannten aber, dass klassenkämpferische Töne wieder Konjunktur hatten. Hugo Chavez, der rote Volkstribun aus Venezuela, stand auf dem Gipfel seiner Macht und in Bolivien sowie Ecuador befanden sich dessen ideologische Ziehsöhne Evo Morales und Rafael Correa auf der Überholspur. Um auch das bürgerliche Lager und die katholische Landbevölkerung mit ins Boot zu bekommen, reicherte das Polit-Paar seine Ideologie mit Hardcore-Katholizismus und bunter Esoterik an. Und den Reichen von Managua wurde signalisiert, dass die Töne der Sandinisten zwar revolutionär seien, man in der Regierungspraxis aber pragmatisch zu agieren gedenke. Längst hatten die Ortegas erkannt, dass Geld wirklich nicht stinkt. Zudem wurde das klassische sozialistische Rot der Sandinisten durch Murillos Lieblingston Rosarot verdrängt. Wahlplakate und später auch Regierungsgebäude erhielten einen solch bonbonartigen Anstrich.

Machttakisch ließ sich das Power-Couple auf einen – letztendlich erfolgreichen – Deal mit einem ideologischen Erzfeind ein: Dem langjährigen konservativen Präsidenten Arnoldo Aleman. Dieser war nach Ortegas` Sturz der starke Mann in Nicaragua. Als ihm die Verfassung eine erneute Kandidatur fürs Präsidentenamt verbat, suchte er sich einen vermeintlich leicht zu steuernden Nachfolger aus. Allerdings erwies sich Enrique Bolanos schnell als ausgesprochen eigenständig. Auf internationalen Druck stellte er seinen bisherigen Förderer wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht. Anschließend sollte Aleman in Haft. Dort hätte er vermutlich lange gesessen, wenn ihm nicht Ortega zu Hilfe geeilt wäre. Es kam zu einem Deal, der bis heute Nicaraguas Schicksal bestimmt. Alemans Gefolgsleute stimmten im Parlament für eine Verfassungsänderung, die Ortegas Wahl zum Präsidenten begünstigte. Im Gegenzug sorgte dieser nach Amtsantritt dafür, dass Alemans Strafe in Hausarrest umgewandelt wurde. Außerdem kungelten Ortega und Aleman die Besetzung von hohen Gerichten und Wahlkommissionen unter sich aus.

Kuhhandel mit Amtsvorgänger Aleman

Zudem trugen die einst anti-klerikalen Sandinisten ein Gesetz mit, das Nicaragua eine der strengsten Abtreibungsregelungen der westlichen Welt bescherte. Selbst nach einer Vergewaltigung ist ein Schwangerschaftsabbruch verboten. Ortega und Murillo verkauften dies jedoch nicht als notwendiges Zugeständnis im politischen Geschacher, sondern als Überzeugungstat. Die beiden früheren Marxisten waren ja jetzt so etwas wie neugeborene fundamentale Christen. Unter anderem holten sie ihre kirchliche Trauung nach. Murillo unterstrich ihre Religiosität, indem sie vielerorts Figuren der Mutter Gottes aufstellen. ließ. Ortega und Gattin dienten nun nicht mehr dem Sozialismus und dem Volkswillen, sondern in erster Linie dem Willen Gottes, als dessen Werkzeuge sie sich mehr oder weniger ansehen.

So vehement sich die beiden für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzen, so egal scheint es ihnen zu sein, wenn an anderen Teilen der Schöpfung Raubbau betrieben wird. So plant die sandinistische Regierung zusammen mit einem chinesischen Investor eines der derzeit umstrittensten Infrastrukturprojekte weltweit: den Nicaragua-Kanal, der in Konkurrenz zum Panama-Kanal den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbinden soll. Für das gigantische Vorhaben müssen Medienberichten zufolge fünf Milliarden Kubikmeter Erdreich abgeräumt werden – das Zehnfache der Menge, die am Panamakanal im Laufe mehrerer Erweiterungen seit Ende des 19. Jahrhunderts ausgehoben wurde. Projektbeschreibungen gehen davon aus, dass für das Projekt mehr als 2000 schwere Maschinen, über vier Milliarden Liter Diesel, 400.000 Tonnen Sprengstoff und Millionen Tonnen von Zement und Stahl erforderlich sein dürften.

Naturschützer kritisieren Kanalbau scharf

Kritische Stimmen halten das Vorhaben für extrem überdimensioniert. Die ökologischen und sozialen Folgen seien sehr viel schwerwiegender als der erhoffte ökonomische Nutzen, heißt es bei Skeptikern. Mir ist unbekannt, ob es in Mittelamerika Juchtenkäfer gibt. Aber für den durchschnittlichen Stuttgart 21-Gegner dürfte es ein Horror sein, sich vorzustellen, wie viele dieser Tierchen bei der Kanalbauaktion theoretisch draufgehen könnten. Ein einzelner Heiner Geißler als Schlichter und Nothelfer würde da keinesfalls ausreichen, um einen solchen Frevel an einer derart schützenswerten Spezies abzuwenden. Auch an der Finanzierung werden immer wieder Zweifel laut, denn nie zuvor hat sich der Investor an ein so ehrgeiziges, manche sagen waghalsiges, Vorhaben heran gewagt. Damit aber wirklich nichts schiefgehen kann, ist auch bei diesem Großprojekt Ortega`sche Familienkompetenz mit im Boot.

Längst wird dem Clan nicht mehr bloß Vetternwirtschaft und Umweltzerstörung vorgeworfen. Auch Wahlmanipulation, Abbau demokratischer Rechte und soziale Spaltung stehen auf der Anklageliste. Und mittlerweile kommt die Kritik nicht mehr nur aus dem bürgerlichen Mittelstand, von Ureinwohnern oder Naturschützern. Auch viele linke Weggefährten von einst gehören zu den Gegnern der Präsidentendynastie. So schwingen die Ortegas zwar immer noch jede Menge anti-amerikanische und anti-kapitalistische Reden. Wenn es aber ums Geld verdienen geht, dann kennt das Regime nicht mal Berührungsängste mit dem „US-Imperium“.

Aufschwung geht am Volk vorbei

Vordergründig lohnt sich dieser wirtschaftspolitische Pragmatismus. Im vergangenen halben Jahrzehnt wuchs die Wirtschaft Nicaraguas um etwa fünf Prozent (was aber nicht viel ist, wenn man das niedrige Ausgangsniveau betrachtet). Aber am Großteil der Bevölkerung geht der Aufschwung vorbei, während bestimmte Schichten in der Hauptstadt Nicaragua, die dem Präsidentenclan nicht fern stehen, immer reicher werden.

Trotz all dieser Fehlentwicklungen dürfte Ortega auch bei einem transparenten und fairen Urnengang seine Wiederwahl sicher sein. Zum einen sind die konservativen ebenso wie die linken Oppositionsparteien schwach und zersplittert. Auch konnten nicht-sandinistische Präsidenten wie Aleman und Bolanos kaum in ihren Ämtern glänzen. Aleman galt als korrupt, Bolanos als schwach. Den Lebensstandard der Nicaraguaner haben beide nicht wirklich verbessert. Und im Vergleich zu ihnen lieferte Volkstribun Ortega immer die bessere Show. Den neuen linken Bewegungen dagegen fehlen noch profilierte Führungsfiguren, organisatorische Schlagkraft sowie ein realistisches Programm.

Nicaragua ist friedlich

Zum anderen mag Nicaragua arm sein, es ist aber nicht die Hölle auf Erden. Die findet man eher bei den nördlichen Nachbarn in Honduras, El Salvador und Guatemala oder im chavistischen Venezuela. Kriminelle Banden haben diese Länder nahezu vollständig in ihrer Gewalt. Ein falscher Blick oder eine zu teure Uhr am Arm – und schon kann man Opfer eines tödlichen Raubüberfalls werden. In Venezuela marodieren neben gewöhnlichen Verbrechern zusätzlich noch dem Regime nahestehende Schlägertrupps. Offizielle Statistiken spiegeln diese Gewaltorgien wider. Gerade hat Venezuelas Hauptstadt Caracas (120 Tötungsdelikte pro 100.000 Einwohner) das honduranische San Pedro Sula als gefährlichste Stadt der Welt abgelöst. So erscheinen die Ortegas vielen „Nicas“ beinahe als Stabilitätsanker, für die sich zwar die wenigsten von Ihnen wirklich begeistern, an die sie sich aber irgendwie gewöhnt haben. Hierzulande würde sich das Paar wohl als „alternativlos“ bezeichnen.

Und so sind die Eheleute zuversichtlich, irgendwann den wirklichen Stabwechsel an der Staatsspitze – von Daniel zu Rosario – vollziehen zu können. Aber Vorsicht: In Argentinien ging dieses Modell der Machtübertragung schief. Mit ihrer Sprunghaftigkeit und ihren Extravaganzen konnte sich Cristina Kirchner nie den Respekt sichern, den ihr umsichtigerer Ehemann Nestor beim Volk genoss. Einiges spricht dafür, dass auch Rosario Murillo an der Staatsspitze überziehen könnte. Noch fehlt in Nicaragua aber eine vielversprechende Alternative, wie sie Argentinien mit dem erfolgreichen Unternehmer und Kommunalpolitiker Mauricio Macri hatte.  Nicaraguas politische Zukunft dürfte zumindest farblich auch weiterhin rosarot aussehen.

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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