Here comes the Rain again… – Eine Kolumne für den Sommer

In der neuen Ausgabe seiner “Hörmal”-Kolumne setzt Ulf Kubanke dem trüben Wetter ein Denkmal und packt – quer durch Genres und Dekaden – Regenlieder aus, die man teils gern wiederhört, teils sicherlich ebenso gern entdeckt.


We forgive as we forget,
as the day is long,
as the day is long,
…rain from heaven.
(Andrew Eldtritch 1986)

It is summertime and the weather is fine? Am Arsch die Räuber! Dämmerlicht, Regensuppe und Unwetterfronten regieren. Was läge mithin näher als eine thematisch passende Playlist zu erstellen, für Sie als Soundtrack zum Lamentieren – oder noch besser: stattdessen. Denn mit guter Musik zur Hand muss es kein Sommer unseres Missvergnügens sein.

Rudi Carrell & Heinz Erhardt – Sonnenlied & Regenlied (1972)

Zeitloses Entertainment ganz alter Schule. Burner e basta!

Ann Peebles – „I Can’t stand The Rain“

Memphis eines Sommerabends 1973: Ann Peebles besucht Freunde und ihren späteren Mann Don Bryant. Alle wollen ein Konzert besuchen. Es schüttet wie aus Eimern. Nicht eben amüsiert vom Dauerregen platzt aus Peebles ein leidenschaftlich angepisstes „I Can’t Stand The Rain!“ heraus. Bryant wittert sofort die Inspiration eines womöglich großen Augenblicks. Beide lassen alles stehen und liegen und komponieren, texten, arrangieren noch in derselben Nacht mit Kumpel Bernie Miller das gesamte Stück. Bereits am nächsten Morgen nehmen sie es im Studio auf. Furioser geht es kaum! Bryant: „Wir sind dann doch nicht mehr zum Konzert gegangen.

B.J. Thomas – “Raindrops Keep Falling On My Head”

Ein Klassiker der Filmmusik und Kernstück vom Newman/Redford-Streifen “Butch Cassidy & The Sundance Kid” anno 1969. Die Komponisten Burt Bacharach und Hal David boten es manch namhaften Kollegen an, bevor Thomas den Zuschlag erhielt.  Nicht jeder glaubte an die Hitqualität dieses sonnigsten aller Regenlieder. Auch Bob Dylan lehnte das Angebot, hier zu singen ab. Ob seine Bobheit den Rückzieher wohl seit fast 50 Jahren ein jedesmal bereut, wenn er es im Radio hört? Schlimmste Coverversion: Engelbert! Beste Varianten: Manic Street Preachers und die grandiosen Flaming Lips.

Eurythmics – “Here Comes The Rain Again”

Lennox und Stewart machen aus einem eher unerfreulichen Vorfall einen Welthit. 1983 waren sie noch ein Paar. Paare streiten sich. Teils derbe. Beide bilden hier keine Ausnahme. Ihr Burton/Taylor-Moment: Es regnet, man sitzt voller Zorn aufeinander in einem Hotel am Central Park und beide schlagen sich am Ende um das einzige mitgeführte Keyboard. Stewart obsiegt dank körperlicher Überlegenheit und wandelt seine Wut in eine Idee. Lennox steht derweil höchst angesäuert am Fenster. Die Tropfen hämmern gegen die Scheibe. Automatisch kommt ihr eine begleitende Textidee und sie singt zu Davids Spiel “Here comes the rain again, falling on my head like a memory….”. Aller Zank ist schlagartig vergessen, ein Evergreen und ’ne verdammt gute Anekdote geboren.  Mein besonderer Liebling ist die gedimmte, höchst charismatische Fassung, die Jahre später auf dem “Lily Was Here” Soundtrack erschien.

Soundgarden – „Black Hole Sun“

“Black hole sun won’t you come and wash away the rain?” als Chris Cornell die 1994 veröffentlichte Nummer schrieb, hatten sowohl er als auch der Rest von Soundgarden kein großes Vertrauen in ihr Potential. Ist das wirklich gut? Man war skeptisch. Zu Unrecht! Offiziell meist als Grunge etikettiert, ist das Lied viel mehr. Der Text bietet Raum für Interpretationen gen Lebenswegfindung, Coming of Age-Situation oder einfach nur als sureal-psychedelische Wetterhymne. Musikalisch ist es ein superber Rocksong, dessen perfekte Melodie sich lässig in nahezu alle anderen Genres transferieren lässt. Es existiert sogar eine kongeniale Jazz-Variante von Lea DeLaria. Cornell selbst spielt das Stück live meist gern als puristische Akustiknummer.  Kann es einen besseren Lagerfeuersong geben?

Nick Cave – “Tupelo”

“The beast it cometh, cometh down!” Jede Menschwerdung ist unweigerlich ein Akt des Schmerzes. Alles quält sich, alles schält sich unter Pein heraus. Sogar die Natur gerät hier in zerberstende Aufruhr. Gewitter, Sturm und reißende Güsse umwehen diese energetische Apokalypse. Das unheilschwangere, recht alttestamentarische Südstaaten-Szenario um die Geburt Elvis Presleys mauserte sich seit 1985 zum markerschütternden Kulttrack seiner Sets. Hiermit trotzt man jedem Unwetter. Play it loud! ”Oh mother, rock your little one slow, mother rock your baby. For the KING is born in Tupelo!”

Astor Piazzolla – “Rain Over Santiago”

Nach so viel aufreizender Energie, landen wir in Piazollas 1976 angerichterter Traufe. Das ebenso schöne wie melancholische Instrumental verspricht die fordernde Romantik des Tango und wartet mit einem Clou auf. Es gibt zwei Versionen; beide ein Duett von Piazollas Bandoneon mit Antonio Agris Violine. Beide Varianten sind vom Arrangement her deckungsgleich. Sie tauschen jedoch ihren jeweiligen Part Begleitung/Solo miteinander. Die gesamte gleichnamige LP des großen Tango-Erneuerers ist höchst empfehlenswert, meine Lieblingsplatte von Don Astor und ein Muss für blaue Stunden zwischen nassem Schauer und wohligem Weltschmerz. Für weitergehendes Interesse am argentinischen Magier findet sich hier (m)ein Portrait des Meisters.

Und hier der Regen über Santiago:

 The Cult – “Rain”

Mit ihrer zweiten Hitsingle „Rain“ setzen The Cult 1985 ihrem zweiten Longplayer “Love” lässig die Krone auf. Eine der besten Hooks der gesamten 80er beschlagnahmt das Ohr nach wenigen Sekunden. „Here comes the rain. Here comes the rain./ Here she comes again. Here comes the rain.“ Astbury: „‚Sanctuary‘ und ‚Rain‘ sind Hymnen an die Herrschaft der Weiblichkeit. Lieder über die Kraft der Sexualität und des spirituellen Ausdrucks.“ (M)Eine Abhandlung über die gesamte LP der Briten finden Sie hier.

Und hier kommt ihr Regen:

The Sisterhood – “Rain From Heaven”

The Sisterhood ist ein Seitenprojekt von Andrew Eldritchs Sisters Of Mercy samt Edelgästen wie alan Vega (Suicide). Die Hintergrundstory samt Querelen The Mission/Sisters gehört in eine andere, spätere Kolumne. “Rain From Heaven” ist der Höhepunkt der einzigen LP “Gift” (1986). Der ebenso pointierte wie lakonische Text Eldritchs kulminiert zum ende in einem hymnischen Chor, der nicht loslässt.

Was nicht fehlt: Rihannas “Umbrella” des Blöden und Guns’n’Roses aufgeblasenes “November Rain”

Keine Regenlieder zum nach unten orientieren für diese Liste! Und überhaupt kann man nirgends so gnadenlos subjektiv sein, wie in der eigenen Kolumne. “Umbrella” empfand ich schon immer als gräßlich. Den haben Profis (u.a. Jay Z) zwar perfekt kalkuliert auf den ihrerseits gnadenlos vermarkteten Leib geschrieben (obwohl es eigentlich zunächst für Britney Spears gnadenlos vermarkteten Leib gedacht war). Doch jenseits der rein optischen Vorzüge erweist sich Rihannas Talent auf künstlerischer und musikalischer Ebene seit jeher als eher übersichtlich.  Braucht niemand.

Zugegeben, bei den Gunners ist es anders. Die haben Talent und waren zu ihren besten Zeiten nicht umsonst einer der größten Rockacts überhaupt. Doch verglichen mit wirklich emotionalen Songs – wie etwa “Patience” oder “Don’t Cry” – ist ihr verregneter Track ein aufgeblähtes, effekthaschendes Nichts in pompöser Überlänge; garniert mit dem uninteressantesten Gitarrensolo aller Zeiten.

Der Perfect Nightsong aller Regenlieder: The Doors – “Riders On The Storm”

Ein Lied so angenehm wie frisch regengewaschene Nachtluft. Es ist der zuletzt aufgenommene Doors-Song überhaupt und wurde nur 2 mal live gespielt. Kommt das zu hörende Gewitter? Zieht es fort? Oder befindet man sich gar im Auge des Sturms? Zum hypnotisch angejazzten Rahmen fügt Morrison die Vocals zweifach hinzu. Auf einer Spur gesungen; auf der anderen flüsternd. Eine ebenso clevere wie effektive Idee, die im Juni 1971 ihrer Zeit klanglich weit voraus ritt. Es ist eines dieser wenigen intensiven Lieder, die selbst in stundenlanger Dauerschleife nichts von ihrer Faszination einbüßen.

Doch noch brillanter gerät seine Zweischneidigkeit. Einerseits kann man das Stück als fließende Hymne an Liebe, Weiblichkeit und Zweisamkeit genießen (“Girl, you gotta love your man. Take him by the hand, make him understand…”). Auch Haustieren gefällt das wohlig fließende Arrangement. Just try!

Doch Obacht! Dahinter lauert das Grauen und der Abgrund aller menschlichen Kaputtheit. Pure Finsternis wartet darauf, ihre klammen Finger um das Herz des Hörers zu krampfen. Auf der Soundbildfläche erscheint Serienkiller Billy Cook, der 1950 per Anhalter reiste und 22 Tage lang mordete; darunter eine komplette Familie samt Kindern. „There’s a killer on the road. His brain is squirming like a toad (…) if you give this man a ride, sweet family will die…killer on the road.“ Doch wer den Kerl am Wegesrand stehen lässt, wird wohlbehalten durch den Sturm kommen und vielleicht sogar zur nächsten Kolumne.

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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