#goodlife: Gesundheit als Statussymbol

Einst waren es dicke Armbanduhren, die man als Prestigesymbol demonstrativ an das Handgelenk band. Heute ist es die Gesundheit, die dank Buzzwords wie Cleaneating und Superfoods zum Lifestyle 2016 gekürt wurde. Lächerlich, findet Alissia Passia.


Im Supermarkt. Ein junger Mann steht in seiner Einkaufsliste vertieft vor dem Regal mit dem Müsli, das die Werbeindustrie vor Jahren Cerealien getauft hat.
Er wendet seinen Blick ab, streckt den linken Arm in Richtung Regal aus.
Ein Raunen geht durch den Gang, junge Mädchen mit Half-Bun in Pastell, geomatrischen Tattoos im Nacken und Nasenring halten sich geschockt ihre Hände vor die schwarzgeschminkten Münder.
Am Ende des Ganges schüttelt ein schmächtiger Typ in Skinny-Jeans den Kopf, zieht sich sein Beanie in das behaarte Gesicht.
Und auch Sie müssen jetzt tapfer sein. Denn das, was ich Ihnen jetzt sage, wird sie sicherlich auch hart treffen. Der Mann vor den Cerealien griff zum Birchermüsli. Richtig, das Rudiment aus den 90ern, frei von Chia-Samen und Goji-Beeren. Das Standard-Gemisch, das sich vielleicht noch BWL-Studenten schmecken lassen, aber doch nicht die Foodies der Generation Y und Z.

Lifestyleprodukt Gesundheit, lange Transportwege hin oder her

Auch genießt man sein Müsli nicht einfach mit Milch, man inszeniert es mit frischen Zutaten in einer Bowl.
Eng an eng liegen Chia- und Hanf-Samen, Beeren und Kokosraspeln auf einem Smoothie-Brei, farblich alles perfekt aufeinander abgestimmt und in geraden Bahnen positioniert.
Auf dieses feierliche Mahl gibt es erstmal ein Foto auf Instagram, Hashtag goodlife, Hashtag foodporn, Hashtag vegan, Hashtag Superfood, Hashtag nomnomnom.
Einfach was zwischen die Backen schieben war gestern, heute wird die Nahrungsaufnahme ritualisiert.
Während es vor ein paar Jahren noch „genügte“ auf Bio-Produkte zurückzugreifen, versprechen sogenannte Superfoods nun langes Hipsterleben. Zucker und Süßstoffe müssen Kokosblütenzucker weichen, ja, Agavendicksaft ist auch schon so was von Neunziger. Wer heute noch an Erdbeeren aus heimischen Gefilden knabbert, hat unlängst den Trend zu Goji- und anderen exotischen -Beeren verpasst.
Die Zutaten für eine Bowl oder einen Smoothie sollten möglichst aus fernen Ländern stammen, lange Transportwege hin oder her.
Auch Lokalitäten haben diesen Trend zum neuen Lifestyleprodukt Gesundheit erkannt und inszenieren sich selbst mit indisch angehauchten Namen, die eigentlich nur die Kürzel der pfiffigen Gründer beinhalten. Schein ist alles.
Der muss auch bei Erkältungssymptomen bewahrt werden. Zum Arzt geht die hippe Gesellschaft schon lange nicht mehr, eine Krankschreibung käme einem Game Over gleich und ein regenerierender Ingwer-Goji-Weizengras-Hanf-Trunk lässt sich viel besser auf Instagram inszenieren, als eine Packung Antibiotika.
Diese wilden Getränkekreationen werden natürlich durch den obligatorischen Besuch im Yoga-Studio ergänzt. Auch hier ist die Optik alles, Smartphone raus, klick, Hashtag sportygirl und raus damit in die Welt.
Nach dem Sport ein einfaches Wasser trinken? Darauf ein müdes Lächeln und ein paar Gurkenscheiben in die gebrandete Glasflasche.
Entschlacken mit Detox-Tees genügt nicht mehr, manchmal hilft da nur noch der gute alte Einlauf. Den verpasst man sich auch nicht selbst, sondern geht zur Heilpraktikerin. Und dann raus mit dem bösen Gift, den Altlasten, Sünden von Vorgestern, Wopper und Pommes. Der Körper will rein sein, so rein, wie die Ernährung, die man ab sofort zu sich nimmt.

Nach ein paar Bissen bekomme ich Bauchweh

„An apple a day keeps the doctor away“ – Gesundheit braucht so viel mehr und das lässt sich der Lifestyle-Gesundheitshipster auch ordentlich was kosten.
Grundsätzlich freue ich mich über Läden, die komische Namen tragen und sogar Süßspeisen mit Kokosblütenzucker anbieten. Ich bin Allergiker, auf dem „Fructose-Unverträglichkeitstrend“, quasi dazu auserkoren diesen no sugar but fun-Wahn beizuwohnen. Und dann sitze ich da, in einen dieser Läden, die viel zu cool sind, um ihre Gäste an Tischen essen zu lassen und genieße meinen Mandelpasten-Sprossen-Linsen-Wasauchimmer. Nach ein paar Bissen bekomme ich Bauchweh. Mag eventuell an der zu fettigen Mandelpaste liegen oder an die Gestalten, die mich im Schneidersitz umzingeln, meditierend auf ihr Smartphone starren und auf das nächste Herz unter ihrem Instagram-Post warten.
Doch ich muss zugeben: Ich mag es. Wären da nur nicht all diese Idioten.

Alissia Passia

Die gebürtige Berlinerin blieb bis heute der Hauptstadt treu, obwohl sie zu ihr eine gewisse Hassliebe pflegt. Kein Wunder, dass sie diesen inneren Konflikt auch gerne in ihrer Kolumne thematisiert. Passia hospitierte im Hause Axel Springer, wo sie ebenfalls nebenberuflich tätig war. Seit 2006 ist sie im Bereich Werbetext für verschiedene namhafte Agenturen, wie Jung von Matt oder BBDO, tätig. Sie konzipierte ebenfalls mehrjährig auf Kundenseite und zuletzt in der Berliner Agentur für digitale Transformation. Dem Digitalen bleibt Passia auch zukünftig treu und macht "irgendwas mit Medien".

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