Horst, wir schaffen das!

Alle Jahre wieder zieht ein knappes Dutzend deutscher C-Promis zum Gaudium des Publikums in den australischen Dachungel. Bis jetzt glänzte die RTL-Urwaldshow mit guten Quoten und war sogar für den Grimme-Preis nominiert. Soll dem Teletrash aber nicht die Luft ausgehen, braucht er ein neues, vielleicht sogar politischeres Konzept….


Menschen, Tiere, Sensatiönchen. Seit vergangenen Freitag hat er wieder geöffnet, der C-Promizirkus namens RTL-Dschungelcamp. Auch wenn sich die Sinngaftigkeit der Show nicht jedem erschließt, schauen doch Millionen zu, wenn gescheiterte Existenzen aus Sport-, Schlager- oder Filmbusiness zusammen mit dem Teleprekariat aus irgendwelchen Castingshows am Lagerfeuer sitzen und über Brusterweiterungen, Hautstraffungen oder Haarverlängerungen salbadern. Knapp bekleidet treten die Möchtegernstars Tag für Tag zu einer Art ,Spiel ohne Grenzen‘ an, dass sich neudeutsch Dschungelprüfung nennt. Dann werden Känguruhhoden verspeist, Bäder in Kakerlakenbecken genommen und irgendwelche Gimicks aus Schlangenkäfigen gefischt.

Obwohl die Spiele so simpel sind wie die Gedankenwelten mancher Campbewohner, das Format hat Erfolg. Bereits seit 12 Jahren erreicht der ,Dschungel’ Traumquoten. Manche behaupten sogar, dass nach den Rückzügen von Thomas Gottschalk und Stefan Raab im Trash-Urwald das letzte Lagerfeuer der Fernsehnation gezündet wird. Aber nicht nur die Quote adelt die Show, zwischenzeitlich übergoss selbst das Feuilleton die Sendung mit Lob. Sogar für den Grimme-Preis, das Hochamt des deutschen Fernsehanspruchs, war „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ schon nominiert.

Top-Quote, aber keiner wollte Show gesehen haben

Trotzdem war es lange Zeit schwer, sich offen als „Dschungel-Zuschauer“ zu outen. Im Bekannten- oder Kollegenkreis behielt man es besser für sich – ganz so wie früher den Einkauf bei Aldi, die Reise nach Mallorca oder den Mittagstisch bei einer US-amerikanischen Fastfood-Kette. Umso erstaunlicher, dass die meisten doch die Sprüche aus dem Camp wiedergeben konnten oder wussten, welche C-prominente Grazie sich gerade zur Steigerung ihres Marktwertes das Evakostüm angelegt hat. Später wurde „Ibes“ Kult – und es galt fast schon als „Muss“, die neusten Lästerein und Eskapaden der Trashcamper und ihrer Präsentatoren zu kennen.

Geistiger Dünnpfiff oder Festival des Zynismus? Welches Urteil über „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ trifft denn nun zu? Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Mindestens die Hälfte der Sendezeit ist etwa so unterhaltsam, wie das Testbild eines finnischen Spartenkanals. Wen interessiert es, wenn Mandy aus DSDS der Cindy aus Big Brother über ihre jüngste Session beim Tätowierer berichtet? Schwenkt das Gespräch auf die Verflossenen um, dürfte das Interesse bei einem Teil der Zielgruppe steigen, zumindest dann, wenn es schlüpfrig wird.

Lästereien sind Salz in Dschungelsuppe

An die Ekelprüfungen sollte sich das Publikum inzwischen gewöhnt haben. Ob irgendein Schlagerfuzzi Krokodilsfüße verspeisen muss oder ein bankrotter Ex-Kicker in ein Rattenloch steigt – alles schon mal da gewesen! Und Ekel reloaded ist in etwa so fade wie Tante Klothildes aufgewärmter Linseneintopf vom Vortag. So bleiben die Lästereien der Moderatoren und die Beziehungskisten der Campinsassen das Salz in der Suppe.

Wenn Sonja Zietlow und Daniel Hartwich, der geniale Dirk Bach ist leider nicht mehr unter uns, die Namensgebung der Ochsenknecht-Kinder auswerten oder nachzuzählen versuchen, wieviele Tätowierungen die Effenbergs eigentlich haben, dann ist das dank überdurchschnittlicher Gagschreiber oft die hohe Schule des Dissens. So großartig bitterböse war zuletzt der frühe Harald Schmidt – damals, als es noch die D-Mark gab und Bundeskanzler Kohl in Bonn residierte.

Kommune 1 trifft auf Castingshow

Daneben lebt die Show vor allem von Schadenfreude und Voyeurismus. Das beginnt schon damit, dass es eine Ikone der Kommune 1, ein ehemaliger DFB-Nationaltorwart oder einer der bekanntesten Charakterdarsteller der DDR überhaupt nötig haben, zwei Wochen mit den Casting-Klonen im Busch zu verbringen und Abend für Abend sinnfreie Hunger-Spiele über sich ergehen zu lassen. Ist das Trash-Personal gut, kann das Urwaldlager in der Tat unterhaltsamer sein, als ein durchschnittlicher Tatort – sagen wir mal aus Stuttgart oder Saarbrücken. Wenn ein Ex-Kommunarde Rainer Langhans, fast schon eine Person der Zeitgeschichte, versucht, wirklich mit einer der Hupfdolen vom Fließband der Castingindustrie zu kommunizieren, dann hat das fast schon etwas Dadaistisches.

Ebenso sehenswert ist es, diese Kinder des Trashs dabei zu beobachten, ihren vorgegebenen Rollen des scripted reality gerecht zu werden. Ist das Luder auch wirklich ludrig genug, das Ekel auch wirklich eklig und der „Nice Guy“ auch so richtig nett? Und reicht die zweiwöchige Performance im Dschungel für Nancy oder Justin, um nach ihrem Aus bei DSDS noch eine Anschlussverwendung beim Bachelor oder der Bachelorette zu finden? Die wirklich wichtigen Fragen des Lebens, sie entscheiden sich im Busch!

Irgendein Schlageropa oder eine gefallene Diva werden auch stets auserkoren, die Mutter der Kompanie oder den Herbergsvater zu geben. Costa Cordalis hat die Rolle als „Campältester“ sogar einen zwischenzeitlichen Ausbruch aus der Welt der Möbelhaus-Eröffnungen und der Ballermann-Parties eröffnet.

Personal wird immer unbekannter

Aber nach 10 Auflagen läuft jedes Format Gefahr, an Spannung zu verlieren. Sicher, in dieser Folge haben die Macher mit Trainer-Großmaul Torsten Legat und dessem herben Ruhrpott-Charme ein echtes Juwel ins Camp verpflanzt. Aber reicht das, um an Erfolge früherer Zeiten anzuknüpfen? Eher nicht, gewissermaßen aus der Not heraus wurde bereits dazu gegriffen, Stars früherer Staffeln wieder einzuladen und am Wühltisch der Castingshow-Absolventen noch tiefer zu graben. Zuletzt ging der Trend ja fast schon von C- zu F-Promis.  Sogar die Mutter einer Reality-Soap-Darstellerin wurde eingespannt, weil der Tochter der Dschungel dann doch zu igitt war.

Zudem hat sich der gesellschaftliche Wind gedreht. Deutschland ist politischer geworden als zu den Zeiten der Spaßgesellschaft der frühen Nuller-Jahre. Gleichzeitig gelten die öffentlich-rechtlichen Polittalks vielen als zu routiniert und zu austauschbar. Was für eine Chance für RTL, einen gesellschaftlich relevanten Relaunch seines Dschungels zu starten! Ein Camp, das heutzutage rocken will, muss die Debatten der Zeit abbilden. Diskurs statt Trashtalk, bitte! Dann käme „Ibes“ raus aus der Boulevard-Schublade und hinein auf die Frontpages der Gazetten…

Politpromis als Quotenturbo

Aber wie müsste ein politisch relevantes Camp aussehen? Die Obersensation wäre es natürlich, wenn es RTL gelänge, die Antipoden der Asyldebatte, Angela Merkel und Horst Seehofer, zwei Wochen lang unter den Extrembedingungen der Sonne Austrsliens zusammenzupferchen und rund um die Uhr mit der Kamera zu begleiten. Man stelle sich vor, Kanzlerin und CSU-Chef müssen zusammen zur Dschungelprüfung und Angie feuert an: Horst, wir schaffen das! Der Ingolstädter wiederum könnte sich dabei profilieren, die Zahl der Campbewohner, die mit zwölf so hoch wie nie ist, „schnell und deutlich zu senken“.

Und auch für die Koalitionspartner von der SPD, die gerade über Wege zu mehr öffentlicher Zustimmung beraten haben, hätte der Dschungel Charme! Warum nicht den nächsten Kanzlerkandidaten nach zwei Wochen Urwald-TV per Tele-Votum bestimmen? Sigmar Gabriel, Andrea Nahles, Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz im täglichen Realitätscheck. Und dazu Gerhard Schröder, der als Juror aktuell die Leistungen seiner potenziellen Nachfolger bewertet. Mehr Aufmerksamkeit ginge nicht!

Varoufakis vs. Schweiger – Kampf der Titanen

Was braucht eine Show noch, um erfolgreich zu sein? Natürlich einen internationalen Star, der entweder „sexy“ ist oder irgendwas Rebellisches hat. Dann natürlich wäre Yanis Varoufakis ein „must“. Der virile Wirtschaftsprofessor, der ein halbes Jahr in Athen den Finanzminister gab, brächte nicht nur ein enormes schauspielerisches Talent, Glamour und revolutionäre Rhetorik mit nach Australien. Er könnte sich mit Merkel, Gabriel oder Seehofer auch packende Diskussonen um die Zukunft Europas liefern. Der Dschungel als Arena des politischen Diskurses. Welch ein Quantensprung. Selbst eine öffentlich-rechtliche Nachrichtenfrau wie Marietta Slomka würde beim Yanis ganz sicher zuschalten.

Da ein Ego selten allein kommt, täte ein Til Schweiger dem Camp auch gut. Sicher hätte der Burgschauspieler zu allem eine Meinung und könnte prima mit Varoufakis & Co parlieren. Zum anderen ist der Mann einfach so großartig, dass er gewiss alle Dschungelprüfungen im Alleingang lösen würde. Die Anderen hätten so sogar noch mehr Zeit zum Politisieren oder Dissen. Und wenn der Yanis am Abend seine Bouzouki auspackt, singt der Til sicher spontan „Love me tender“ dazu. Mehr Quote ginge wohl nicht. Auf den sich abzeichnenden Kampf der Titanen zwischen Varoufakis und Schweiger wäre nicht nur Frau Slomka gespannt.

Meet the Wulffs?

Und wenn dann noch Bedarf an A-Promis wäre: Die Wulffs wären sicher ebenso so dankbare Camper wie talkshowgestählte Zeitgenossen à la Gregor Gysi, Norbert Blüm, Claudia Roth oder Wolfgang Kubicki. Auch ein Jürgen Todenhöfer käme bestimmt gerne. Aber halt, das wäre unfair. Wer schon schon alle sieben Weltmeere durchschwommen und alle Terrorstaaten durchreist hat, für den ist Dschungelcamp wohl wie Kirmes in Castrop-Rauxel. Im Sinne der Chancengleichheit müsste dieser Name sicher von der Shortlist gestrichen werden.

Aber leider werden E&U im Fernsehen erst einmal weiter nebeneinander existieren. Wer Debatte sehen will, muss bei Will, Illner oder Plassberg bleiben. Gelästert wird bei den Krawallarbeitern im Dschungel. Manchmal, aber nur manchmal, indes könnte man meinen, dass sich beide Formate gar nicht so sehr unterscheiden…

 

 

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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