Vegetarismus: Gemüsekonsum ist auch nur Konsum

Haben Tiere eigentlich etwas dagegen, dass wir sie essen? Im Gegensatz zu Veganern finden sie es keineswegs unmoralisch.


Was war noch gleich besser für die Umwelt, Gemüse oder Fleisch? Missionare der Kirche der fleischlosen Ernährung können die Frage mühelos beantworten: Fleisch ist die Ursache der kommenden Apokalypse (die heute ja bekanntlich den Namen Klimawandel trägt), erfahren wir von Ernst Walter Henrich. Eine besonders delikate Mischung aus Paranoia und Geschäftstüchtigkeit bietet auch die Promiköchin Sarah Wiener. Da wird der fleischverzehrende Normalmensch mit seiner „Fleischgier“ zum „Endlager von Pestiziden, Zusatzstoffen und Medikamentenrückständen“ zum Verursacher von „Klimawandel, Wasservergiftung und Bodenverlust“ sowie Übergewicht, Krebs und weiteren Übeln der Welt. Frei von Schuld ist man als Fleischesser nur, wenn man bei Sarah Wiener, die die Dienste ihres Catering Services für „Stehempfänge, wilde Partys oder feudale Dinner; ob Premieren, Medienspektakel oder Firmeneröffnungen“ anpreist, „von Tauchern von Hand eingesammelte“ Jakobsmuscheln, ein Stück vom „Bunten Bentheimer Schwein“ oder „kleinste Feldhühner“ (Wachteln) für sich und seine bis zu 3000 Gäste ordert.

Ernährung und Umwelt

Wissenschaftler der „Carnegie Mellon University“ sind zu einem etwas anderen Urteil gekommen. Sie untersuchten die Auswirkungen von pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln durch Anbau, Verarbeitung und Transport, Vertrieb und der Lagerung in Haushalten. Parameter waren der Energie- und Wasserverbrauch und die Treibhausgasemissionen.

Eines der Ergebnisse: Salat verursacht dreimal mehr Emissionen als Schinken. Das liegt einfach daran, dass Kopfsalat kaum Kalorien hat. Er besteht zu 95% aus Wasser, 100 Gramm haben gerade einmal 13 Kilokalorien. Einen ziemlich schlechten Eindruck machen beispielsweise auch Auberginen, Sellerie und Gurken. Eine Gurke ist auch nur ein mit viel Aufwand produzierter Wasserspeicher. Es ist bei weitem umweltfreundlicher, das Wasser aus dem Hahn zu trinken als es in Form einer Gurke zu essen.

Beim Vergleich verschiedener Ernährungsweisen kam die Studie zum Ergebnis, dass eine Ernährung mit viel Pflanzlichem (aber auch mehr Fisch und Milch), wie sie gemeinhin als gesund und gleichzeitig bzw. deswegen auch als moralisch besser gilt, im Vergleich zur amerikanischen Standardernährung einen um 38% erhöhten Energieverbrauch, 10% mehr Wasserverbrauch und 6 Prozent mehr Treibhausgasemissionen bedeutet. Und das obwohl gleichzeitig noch von einer Verringerung der Kalorienaufnahme ausgegangen wurde. Bei gleicher Kalorienmenge ergaben sich sogar Steigerungen um 43, 16 und 11%.

Sollen wir also nun dem Klima zuliebe doch besser bei Hamburgern bleiben? Iwo! Letztlich ist das ganze Gerechne, welche Ernährung für den Planeten am besten sei, großer Unsinn. Natürlich gibt es auch Studien mit dem Ergebnis, dass Vegetarismus den CO2-Ausstoß nicht erhöhen, sondern reduzieren würde. Lassen wir die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegen und daraus das folgern, was ich sowieso sagen wollte: Esst, was Euch schmeckt!

Vegetarismus und Tierwohl

Auch die erst mal so einfach scheinende Frage, ob Vegetarismus dem Tierwohl diene, kann nicht vorschnell mit Ja beantwortet werden. Der Anbau von Pflanzen für den menschlichen Verzehr ist wesentlich dadurch geprägt, dass man verhindert, dass die entsprechenden Pflanzen in der Zeit zwischen Aussaat und Ernte von Tieren gefressen werden. Das erreicht man am besten, indem man all die Tiere vom Fruchtschalenwickler über Mäuse, Schlangen, Eidechsen bis zum Kaninchen, die sich an den Pflanzen gütlich halten wollen, auf die eine oder andere Weise zu Tode bringt. Man nennt das Pflanzenschutz. Und der findet übrigens auch im Ökolandbau statt.

Dabei geht es keineswegs nur um Insekten. Es gibt kleine, putzige Säugetiere der Gattungen Mus und Rattus, die beim Ackerbau millionenfach sterben. Der australische Biologe Mike Archer schätzt, dass für die Erzeugung eines Kilogramms Eiweiß 25 mal mehr leidensfähige Tiere sterben müssen, wenn wir Pflanzen statt Rindfleisch aus Weidehaltung essen. Und diese Tiere werden nicht nach strengen Tierschutzgesetzen getötet, sondern zerhackt und vergiftet.

Essen für eine bessere Welt?

Wir leben in einer Konsumgesellschaft und da ist es kein Wunder, dass mache Menschen durch Konsum die Welt verbessern wollen. Sie kennen halt nichts Anderes. Am Ende wird aber das Klimaproblem nicht gelöst werden, weil die Menschen aufhören, Fleisch zu essen, sondern weil sie Technologien erfinden, mit denen der Ausstoß von Klimagasen minimiert wird. Und den Tieren geht es heute auch nicht deshalb besser, weil es mehr Veganer gibt, sondern weil wir uns dank effizienter Methoden leisten können, Kühe und Schweine nicht mehr wie früher in der sogenannten „bäuerlichen Landwirtschaft“ in dunklen, feuchten Ställen, sondern in modernen tierschutzgerechten spezialisierten Anlagen zu halten.

Bestimmte Lebensmittel als moralisch besser oder schlechter zu bewerten, ist hinreichend schwierig und damit ziemlich sinnlos. Ganz schlecht schneiden Obst und Gemüse zum Beispiel bei der Lebensmittelverschwendung ab. Fleisch schmeißt man extrem selten weg, Obst und Gemüse aber regelmäßig, weil man fürs gute Gewissen zuviel davon gekauft hat und es dann schnell anfängt, zu faulen und schimmeln. Was außerdem gar nicht zusammen geht, ist Veganismus und Öko. Denn um ökologischen Landbau zu treiben, braucht man vor allem eines: massenhaft Tiere, die den Dünger liefern. Ein bisschen Wachtelkacke genügt da nicht. Überall lauern Fallstricke. Deshalb ist für die moralisch korrekte Ernährung vor allem wichtig, dass man wenig darüber nachdenkt.

Wie groß ist das Problem?

Einerseits ist tatsächlich praktizierter Veganismus selten und in der Regel eine vorübergehende Erscheinung bei jungen, tierlieben Menschen, die im Fernsehen Stallskandalreportagen gesehen haben.

Andererseits ist die wachsende Akzeptanz und mitunter Unterstützung der zugrunde liegenden Ideologie bedenklich. Viele Veganer stellen generell in Frage, ob der Mensch die moralische Berechtigung hat, Tiere zu essen. Hinter der neuen Zuwendung zum Tier stecken große Zweifel daran, was den Menschen besonders macht und ihn über das Tier erhebt. Wie man sich ernährt, kann jedem selbst überlassen sein. Die latente Menschenfeindlichkeit, die mit dieser Art der Tierverbundenheit einhergeht, ist die eigentlich unerfreuliche Entwicklung. Für Sarah Wiener stehen wir alle auf der gleichen Ebene. „Geben wir Pflanzen, Tieren und Bauern ihre Würde zurück“, fordert sie uns auf. Oder ist es gar keine Aufforderung, sondern ein Versprechen, das sich nicht an uns, sondern an ihre exkulpationshungrige Kundschaft richtet?

Thilo Spahl

Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Redakteur bei der Zeitschrift NovoArgumente.

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