Der Anti-Chávez

Argentinien hat sich für eine 180-Grad-Wende entschieden. Nach der sprunghaften Cristina Kirchner soll der kühle Stratege Mauricio Macri als neuer Präsident für geordnete Verhältnisse sorgen. Dem fehlt allerdings eine Mehrheit im Parlament.


Argentinier leiden nicht an mangelndem Selbstbewusstsein. Sie haben mit Evita Peròn die exzentrischste Politikerin, mit Diego Armando Maradona den spektakulärsten Fußballer und mit Ernesto ,Ché’ Guevara den berühmtesten Revolutionär hervorgebracht. Jetzt sind sie auch noch Papst. Nicht nur deshalb ist ihr Land für die stolzen Argentinier das schönste, ihr Fleisch das beste und ihr Tango der faszinierendste Tanz überhaupt. Wer einmal in dem Pampa-Staat war, wird zugegeben, dass sie so falsch nicht liegen (ok, aus privaten Gründen muss ich anfügen, dass das Nachbarland Chile mindestens genau so schön ist).

Nun könnte Argentinien ganz Südamerika verändern. So wird der frisch gewählte Präsident Mauricio Macri derzeit als der Hoffnungsträger eines ganzen Kontinents bestaunt. Wie hat es der Liberal-Konservative geschafft, dass ausgerechnet in Argentinien, quasi dem Mutterland des Linkspopulismus, ein Fan von Marktwirtschaft und Rechtsstaat eine linksnationalistische Regierung mit halbdemokratischen Anwandlungen von der Macht verdrängen kann. Obwohl die Peronisten das Füllhorn der teuren Wahlversprechen wieder einmal voll geladen hatten?

Macri ist anders als alle Vorgänger

Zuvor war die ebenso schrille wie sprunghafte Peronistin Cristina Kirchner mit dem Versuch gescheitert, die Verfassung nach ihren Gunsten umzubiegen. Volk und Parlament verweigerten ihr jedoch die Option, nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten wieder für das höchste Staatsamt zu kandidieren. So zieht mit Macri ein Mann in den Präsidentenpalast ein, der nicht nur anders ist als seine Vorgänger, sondern der sich auch von fast allen aktuellen südamerikanischen Amtskollegen deutlich unterscheidet. Viele Beobachter glauben sogar, dass Macri den Siegeszug des Linkspopulismus in Lateinamerika, der 1998 mit der Wahl von Hugo Chávez in Venezuela begann, beenden könnte.

Tatsächlich hat Macri nach seiner Wahl angekündigt, nicht nur Argentinien auf Vordermann bringen zu wollen. Er sendete auch unmissverständliche Botschaften gen Caracas. Venezuela, dessen Regierung die Bürgerrechte schleichend abschafft, Justiz und Medien gleichgeschaltet hat und Schlägertrupps auf Anhänger der Opposition ansetzt, will der Argentinier aus dem Wirtschaftsbündnis Mercosur werfen lassen. Als erster südamerikanischer Staatschef fand er auch klare Worte gegen die willkürlichen Verhaftungen der venezolanischen Oppositionsführer Leopoldo López und Antonio Ledezma.

Präsident erbt heruntergewirtschafteten Staat

Bevor Macri ein Startsignal für den Umbruch auf dem Kontinent aussenden kann, warten schwere Hausaufgaben auf ihn. Argentinien ist nach den 13 Jahren, in denen Cristina Kirchner und ihr verstorbener Ehemann Nestor an der Staatsspitze standen, quasi zahlungsunfähig. Die dirigistische Wirtschaftspolitik des Ehepaars K., so nannten die Argentinier das First Couple, und eine Abschottung von den Weltmärkten taten ihr Übriges, um der argentinischen Industrie endgültig den Garaus zu machen. Selbst die Fleisch- und Sojaproduzenten – traditionell das ökonomische Rückgrat des Landes – schalteten in jüngster Zeit ein paar Gänge zurück. Hohe Ausfuhrzölle und Devisenbewirtschaftung machten es für die Landwirte unattraktiv, richtig zu produzieren.

Trotz Krise und Chaos haben Kirchner und ihre Peronisten immer noch Einfluss im Land. Seit den 1930er Jahren stellt die Bewegung fast ausschließlich den Präsidenten. In Behörden und Gewerkschaften wimmelt es von Parteigängern. Auch wuchs die Zahl der Argentinier, die direkt von staatlichen Unterstützungen leben, stetig an. Zuletzt, unter den Kirchners, waren es sage und schreibe 40 Prozent. Bezahlt wurden die gesammelten Wohltaten am Ende fast ausschließlich aus der Notenpresse. Die Exporterlöse fielen zuvor kräftig in den Keller. Im Staatssäckel herrscht nach vielen Jahren Peronismus sowieso Ebbe. Und mit den internationalen Kapitalgebern hatte sich die Diva im Präsidentenamt maximal überworfen.

Ruft Cristina Kirchner Anhänger auf Barrikaden?

Die von den Kirchners angefeuerte Inflation sorgte dafür, dass die Ersparnisse – insbesondere des Mittelstandes, die bereits durch den Staatsbankrott 2001 dezimiert wurden, weiter dahin schmolzen. Das einst unsagbar reiche Argentinien war nach Jahrzehnten von Peronismus oder Diktatur zum Betteln bei Venezuela oder China gezwungen.

Macri, dessen Wahlbündnis im Parlament über keine eigene Mehrheit verfügt, wird angesichts dieser desolaten Lage zur Quadratur des Kreises gezwungen sein: Er muss die Staatsausgaben senken, die öffentlichen Betriebe verschlanken und trotzdem versuchen, die Sozialprogramme aufrechtzuerhalten. Denn: Widerstand droht nicht nur aus peronistisch geprägten Amtsstuben und Gewerkschaften, sondern vor allem von der Straße. Kirchner, die mit Ihren hochfahrenden Reden bei großen Teilen der ärmeren Bevölkerungsschichten immer noch Popularität besitzt, wird ihre Anhänger wohl schon bei kleinen Einschnitten auf die Barrikaden rufen. Und bislang war es immer so, dass Argentinier selbst sanfte Reformen übel nahmen, einen anständigen Sozialprotest aber stets zu schätzen gewusst haben. Wenn Macri also vorhaben sollte, nach einer Dekade linkspopulistischer Fiesta einfach nur die Macht der alten Eliten in Nobelvororten von Buenos Aires zu konsolidieren, er müsste grandios scheitern.

Ein Mann von Maß und Mitte

Aber genau darin liegt eine Chance: Der neue Präsident muss das tun, was dem Kontinent seit Jahrzehnten fehlt: Einen Ausgleich zwischen marktwirtschaftlicher Notwendigkeit und verantwortbarer sozialer Balance schaffen. Hierfür muss er überzeugen, vermitteln und mit Augenmaß regieren. Gleichzeitig muss er Durchhaltevermögen zeigen – und darf nicht wie der letzte der wenigen nicht-peronistischen Präsidenten, Fernando de la Rua, – bei Gegenwind mit dem Hubschrauber aus dem Präsidentenpalast fliehen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Macri all das schafft. Der Sohn eines der reichsten Männer Argentiniens ist gerade kein feuriger marktradikaler Ideologe, sondern ein kluger und eher vorsichtiger Stratege. Sein Vater etwa, der ihn quasi aus dem Familienimperium verstoßen hat, warf ihm vor, zwar den Verstand, aber nicht das Herz eines Präsidenten zu haben. Da Verstand in der argentinischen Politik stets zu kurz kam, während das Herz bei Evita, Cristina und anderen Demagogen ständig Veitstänze aufführte, dürfte der väterliche Diss eher Verheißung als Handicap sein.

Der Macher der kleinen Dinge

Zudem hat gerade der Rausschmiss aus des Vaters Haus Macri hart und erfolgreich gemacht. In der Privatwirtschaft wie in der Politik boxte sich der in Ungnade gefallene durch. Zunächst sanierte er den Maradona-Club Boca Juniors und sorgte dafür, dass der Verein nicht nur Kult blieb, sondern auch reich und erfolgreich wurde (quasi eine Art FC St. Pauli oder Darmstadt 98 mit den Ressourcen von Bayern München). Dann ließ sich Macri zum Bürgermeister von Buenos Aires wählen.

In der Hauptstadt stellte er etwas unter Beweis, das Chávez sein Lebtag schuldig geblieben ist, nämlich hart und effizient arbeiten und ein Gemeinwesen solide verwalten zu können. Zwar ging es in Buenos Aires’  Kommunalpolitik vor allem um eine funktionierende Müllabfuhr, pünktliche Buse, saubere Straßen sowie trinkbares Wasser – und nicht um Weltökonomie oder Finanzkrisen. Aber gerade diese vielen kleinen Errungenschaften ließen viele Porteños, wie die Hauptstädter offiziell heißen, ins Macri-Lager wechseln. Mit geschickten Aktionen, unter anderem weihte er ein Denkmal von Ex-Präsident Juan Peròn ein, fand der Patriziersohn sogar in den ärmsten  Stadtvierteln Anhänger. Gegnern nahm er so Wind aus den Segeln. Bekenntnisse zu Sozialprogrammen taten ein Übriges.

Den Argentiniern jedenfalls erschien das Modell Buenos Aires – viele kleine Taten, statt großer Worte – attraktiv genug, um entgegen ihrer bisher geübten Praxis für Maß und Mitte statt für peronistischen Voodoo und hochfahrende Visionen zu stimmen.

Macri könnte Leitfigur für Südamerika werden

Kluger Kopf statt großer Klappe. Mauricio Macri, der Macher der kleinen Dinge, scheint tatsächlich irgendwie der personifizierte Gegenentwurf zum Volkstribun Hugo Chávez zu sein. Gelingt es ihm, das Wachstum anzukurbeln und den einfachen Menschen zu mehr Wohlstand zu verhelfen, Macri könnte zur Leitfigur für einen ganzen Kontinent werden.

Allerdings wird er sich schon bald dem Realitätstest stellen müssen. Mit einem Utopia kann und will er seine Landsleute gerade nicht vertrösten. Kirchner und andere Populisten indes lauern nur darauf, ihr neues Feindbild schnellstmöglich auf die Probe zu stellen. Aber: Allein die Tatsache, dass ihr Präsident im Zentrum internationaler Debatten stehen wird, könnte die sendungsbewussten Argentinier hinter Macri versammeln.

Es wird spannend am Rio de la Plata. Daher: Alle Augen auf Mauricio Macri!

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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