Cool Britannia

Während eines Schottland-Trips hätte ich fast der Queen zum Thronrekord gratulieren können. Einer Frau, die seit über 60 Jahren vorlebt, was Großbritannien auszeichnet: Coolness, Pragmatismus und Beständigkeit. Uns Deutschen täte mehr davon vielleicht gut.


Der Zufall wollte es, dass die Jubilarin und ich am 9. September diesen Jahres am gleichen Ort waren: Bahnhof Waverley, Edinburgh. Durch diesen beinahe Zusammenstoß mit der Monarchie erfuhr ich, dass Königin Elizabeth just an diesem Mittwoch ihre Ahnin Victoria als das am längsten amtierende Staatsoberhaupt Britanniens ablöste.

Auch die schottischen Untertanten, die sich vor Jahresfrist nur mit dünner Mehrheit für den Verbleib im Königreich ausgesprochen hatten, zollten Ihrer Majestät Respekt. Selbst im eigensinnigen Norden, so mein Eindruck, dürfte Elizabeth die beliebteste Britin sein. Sogar Gegner der Monarchie erkennen an, dass die Chefin des Hauses Windsor ihre Amtsgeschäfte tadellos – very british – führt.

Die Queen verkörpert Beständigkeit in einer unbeständigen Welt. Die Briten erleben sie als unaufgeregten Charakter, der mit stoischer Miene – bei Wind und Wetter – Straßen und Krankenhäuser einweiht. Jahr für Jahr lauschen die Insulaner perfekt-unverbindlichen Weihnachtsansprachen. „Die Stürme und die Jahre kommen und gehen – Ihre Majestät bleibt dieselbe“ – so die Botschaft.

Selfies? Für die Queen undenkbar!

Niemals käme Elizabeth auf die Idee, Selfies mit Untertanen zu machen. In ihrer Welt ist das etwas für Teenager, die zum ersten Mal Popstar Ed Sheeran oder Kickeridol David Beckham treffen.

Gewiss, auf der Insel verkörpert nicht jeder Zeitgenosse aristokratische Haltung so perfekt wie die Königin. Wer einmal in einem englischen Fußballstadion war oder den Pub eines X-beliebigen Arbeiterviertels besucht hat, weiß, dass Etikette nicht überall so formvollendet gepflegt werden, wie auf Downton Abbey oder im Buckingham Palace. Dennoch lässt sich sagen: Britische Coolness und Höflichkeit stellen einen wohlwollenden Kontrast zu Aufgeregtheit und den hierzulande oft üblichen ruppigen Umgangsformen dar.

1988, bei meinem ersten Aufenthalt in Südengland, erhielt ich von meinen Gasteltern – die ihre Pudel Fergie und Di nannten, jeden Tag um fünf Uhr Tee tranken und mit Vorliebe Cricket sahen – einen Crashkurs in britischer Lebensart. Vom Gastvater, einem Maler, der in jeder Miss-Marple-Verfilmung den aristokratischen Schrat hätte spielen können, wurde mir erklärt, dass Höflichkeit und Umgangsformen dem englischen Fair-Play-Gedanken geschuldet sind. Und dass mindestens in jeden zweiten Satz entweder „please“ (bitte) oder „don´t mention it“ (keine Ursache) gehört.

Ungeschriebene Regeln machen das Leben leichter

Ganz wichtige Lektion: Wenn ein anderer einen Fehler macht, dann hat man das mit „it was my fault!“ (es war meine Schuld) zu kommentieren; der andere weiß – zumindest, wenn er Brite ist – schon was man meint. Auch gut zu wissen: „I almost agree“ (ich stimme fast zu) gilt auf der Insel schon als scharfe Form der Kritik. Irgendwie sind diese ungeschriebenen Regeln für UK-Einsteiger eine gute Hilfe. Sie ersparen Diskussionen und vermeiden Streit.

Selbst wenn man gewisse Zeit nicht im Königreich war, der Alltag führt Kontinentaleuropäer schnell zu britischen Umgangsformen zurück. Gerade reichte ein profaner Hinweis im Bordbistro der Fähre vom westschottischen Oban zur Isle of Mull, um mich zu mahnen, deutsche Drängelei und Hektik über Bord zu werfen: „Passagiere, die gerne Speisen und Getränke erwerben möchten, werden höflichst gebeten, sich bitte hier anzustellen.“ Besser kann man britische Haltung nicht auf einem Schild im öffentlichen Raum zusammenfassen!

Andererseits treten die Vertreter der Staatsmacht durchaus bestimmt auf – bewahren aber dennoch ihre Höflichkeit. So wollte ich kurz nach den Anschlägen auf Londons Underground im Bahnhof Waterloo ein Foto von einer schönen Säule machen. Aus dem Nichts kam ein Angehöriger der Sicherheitsorgane auf mich zu, um mich freundlich, aber mit maximaler Verkörperung von Autorität, darauf hinzuweisen, dass fotografieren nicht gestattet sei und ich doch – bitte – meine Kamera bei Seite legen möchte.

Mit Coolness und Pragmatismus sind die Briten gut gefahren

Die Mischung aus Coolness, Pragmatismus und Bestimmtheit dürfte in den rauen Winden der Weltpolitik keine schlechte Handlungsanweisung sein. Im Großen und Ganzen sind die Briten damit im Verlauf ihrer Geschichte auch ganz gut gefahren.

Selbst im Jahr 2005, nach den U-Bahn-Attentaten von London, gingen die Inselbewohner gelassen mit einer Extremsituation um. Blutende Menschen erzählten nach dem ersten Schock vor laufenden Kameras von ihren Erlebnissen, diszipliniert nahmen die Londoner in Kauf, dass die Kapitale einen Tag lang lahm gelegt war. Keine Panik, keine Hysterie, kein Verzagen, keine Schuldzuweisungen. Cool Britannia. „Wir werden reagieren, wie wir immer reagiert haben. Ruhig, mutig: Wir werden uns nicht einschüchtern lassen“, sagte der britische Botschafter in Berlin, Sir Peter Torry, dem „Spiegel“ in eine, Interview. Life goes on.

Schaut man sich auf der Insel um, fällt auf, dass es um manche Dinge in der Tat besser bestellt ist, als im vermeintlichen Powerhaus Deutschland (Ok, bei der Esskultur ist jenseits der gehobenen Gastronomie und ausländischer Lokale nach wie vor Luft nach oben. Und das Gesundheitswesen weist für Patienten des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS immer noch Mängel auf). Marktwirtschaftliche Reformen und eine eiserne Haushaltsdisziplin (das Land will auf Jahrzehnte Überschüsse erzielen) haben sich indes als erfolgreich erwiesen. Zudem macht die Regierung zuhause in London, was sie in Brüssel immer wieder einfordert: bürokratische Hürden abbauen. Auch ist in kaum einem anderen westlichen Land die Kinderzahl so hoch wie auf der Insel – quer durch alle Schichten, bei Einheimischen wie Migranten. Hält die Entwicklung an, wird Großbritannien spätestens 2030 Deutschland an Wirtschaftskraft überholen. Die Insel hat die Chance, wieder zum Vorzeigeland Europas zu werden. Hoffentlich innerhalb der Europäischen Union.

Europa braucht britische Coolness, britischen Pragmatismus und britische Freiheitskultur mehr denn je. Ohne das Königreich wäre die Europäische Union noch staatsgläubiger, bürokratischer und irgendwann noch weniger wettbewerbsfähig. Rückbesinnung auf Vielfalt, Debattenkultur und echte Liberalität könnten einem ermattenden Kontinent neue Kräfte verleihen. Zudem setzen die Briten immer wieder ein Gegenwicht zu einer Konformismus fördernden EU-Kommission.

Belehrungen aus Deutschland kommen im Königreich schlecht an

Allerdings verstören derzeit manche Töne aus Deutschland die britische Politik und Gesellschaft. Nicht nur in der konservativen Partei von Premier Cameron oder bei den EU-Gegnern von UKIP, sondern auch bei politisch links verorteten Briten löst es Kopfschütteln aus, wenn ein hiesiger Kirchenfunktionär die politische Aktualität mit „Deutschland leuchtet und macht Europa hell“ kommentiert. Als Werbung für deutsche Sichtweisen und den Verbleib in der EU wird das zwischen London und Edinburgh nicht wahrgenommen, im Gegenteil. Ältere Semester denken da an unschöne Töne aus vergangenen Zeiten. Und generell schätzen Briten eher Understatement und Selbstreflektion. Eben dies lebt Königin Elizabeth seit über 63 Jahren vor.

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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