Freiheitsentzug am Steuer

Auf der Internationalen Automobilausstellung IAA reden alle von „connectivity“. Wer hat in Zukunft das Sagen – der Fahrer oder das Auto?


Der neue BMW-Chef Harald Krüger ist auf der IAA bei seiner Rede nach fünf Minuten auf der Bühne zusammengebrochen. Es war wohl der Kreislauf. Er hat damit recht eindrücklich demonstriert, wohin die Reise geht. BMW baut jetzt Autos für Menschen wie ihn: gestresste Manager am Rande des Zusammenbruchs. Die Autos der Zukunft sollen so etwas wie rollende persönliche Assistenten und Fitness-Coaches werden, die ihre Insassen mit Hilfe von allem, was sie so an Informationen aus ihnen und ihrer Umgebung heraussaugen können, umsorgen. Blutdruck wird gemessen, Opernkarten bestellt, das Biowetter berücksichtigt und dem Kühlschrank Bescheid gegeben, dass Papi bald nach Hause kommt. Das Zauberwort heißt Connectivity oder Internet der Dinge.

Der Mensch wird zum intelligenten Objekt

Die zwei wichtigsten Maschinen, die wir haben, sind Autos und Computer. Jetzt werden Autos zu Computern. Und alles andere auch. Norman Lewis weist auf eine entscheidende Veränderung in jüngster Zeit hin. Mit wachsender Computerleistung, Speicherkapazität und Übertragungsraten wird aus der Vernetzung der Menschen, die wir aktiv kontrollieren können, eine Vernetzung der Dinge, eben jenes Internet der Dinge. Dabei wird der Mensch vom Subjekt der Netzwerke immer mehr zum Objekt der Netzwerke. Wir werden zum Ding in einem Netzwerk „intelligenter“ Dinge.

„Sicherheit, Komfort und Energiesparen sind die drei Argumente, mit denen sämtliche Entmündigungsunternehmungen durch Staat und Industrie gerechtfertigt werden“, schreibt Niklas Maak in der FAZ. Autos, Ampeln und intelligente Bordsteinkanten regeln alles untereinander. Nebenbei behalten sie auch noch die biologischen Einheiten im Blick, die früher, als sie noch Menschen hießen, Subjekt des Geschehens waren.

Vielleicht sollten wir mal an den Rand fahren und in Ruhe nachdenken und uns erinnern. Seit es sie gibt, waren Autos Freiheitsmaschinen. Man ist eingestiegen und weggefahren und hat hinterm Steuer Entscheidungen für die nächste Kurve oder den Rest des Lebens getroffen. Man war allein oder zu zweit oder zu fünft. Man war nicht vernetzt. Man konnte das Radio einschalten. Man konnte hören, aber nicht gehört werden. Wenn man irgendwo hinfuhr, wusste man selbst, wo man war, aber sonst wusste es niemand. Und manchmal wusste man es auch selbst nicht. Man fuhr einfach. Man fuhr zum Beispiel weg.

Fahren unter Aufsicht

Heute weiß das Smartphone Bescheid und morgen das Auto. Und alle, die irgendwie Daten von den zwei Dingern erhalten und auswerten. Zum Wo kommt das Wie. Wir fahren nicht das Auto, sondern irgendwie mit ihm zusammen. Wir fahren nicht im Auto, sondern unter Aufsicht des Autos. Wenn das Auto kaputt ist, kümmert es sich um die Reparatur. Und wenn wir krank sind oder getrunken haben oder Zeichen von Konzentrationsschwäche zeigen, dann kümmert es sich um uns und greift fürsorglich ins Lenkrad. Es weiß, wie es uns geht. Es weiß, wer ich bin.

Selbstfahrende Autos. Warum nicht? Ich setze mich in eine Transportmaschine, die mich zu einem Ziel bringt. Das ist dann aber nicht die Zukunft des Autofahrens, sondern die Zukunft des Taxifahrens. Und die hätte ich lieber so, dass das Taxi mich nicht identifiziert, nicht auf der Fahrt meine Vitaldaten analysiert und mir keine auf meine persönlichen Vorlieben und die aktuelle Stimmungslage zugeschnittenen Restaurantstipps gibt.

Auch die Taxi-Erlebnisse werden ganz andere. Wenn einer heute noch erzählen kann, wie ihn ein waghalsiger Taxifahrer in Ankara zum Flughafen brachte, wobei sich die Begeisterung, den Flug noch zu kriegen, die Angst, ihn im Zinksarg antreten zu müssen, und der Trost, vorher wenigstens noch etwas erlebt zu haben, die Waage hielten, heißt das morgen dann: Weißt Du was, Schatz, ich habe heute das Fast & Furious Programm gewählt. Es hat mich sehr sicher zur Arbeit gebracht, dabei ordentlich hin und her geschmissen und auf dem 3D Screen der Frontscheibe ein super Race gezeigt. Morgen nehmen wir mal „Romantic Journey“, ja?

Nichts gegen autonome Autos! Ich werde sie gerne gelegentlich als Taxi nutzen. Aber wir sollten darauf achten, dass es auch solche gibt, die man besitzen, beherrschen, aus dem Datennetzwerk herausnehmen und von sämtlichem Überwachungsfirlefanz befreien kann. Außerdem hätte ich gerne, wenn schon mit Autopilot, dann auch eines, das fliegt.

Nach dem Schreck auf der IAA, meldete eine BMW-Sprecher: „Die Ärzte haben jetzt entschieden – und wir auch – dass er alle Termine abbrechen wird, nach Hause fahren wird und sich zu Hause erholen wird.“ Bei der nächsten IAA würde es wohl heißen: „Sein Auto hat entschieden, dass es ihn erstmal nach Hause bringt und die Ärzte über seinen Zustand auf dem Laufenden hält. Es fügte hinzu: Das ist nur eine Show hier. Wir sind hier nur auf einer Autoshow.“

Thilo Spahl

Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Redakteur bei der Zeitschrift NovoArgumente.

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